Hallo liebe Radler,
euer Mitstreiter ist sportlich fremd gegangen. Ich habe am Tenzing-Hillary-Everest-Marathon 2010 in Nepal teilgenommen. Ich wünsche euch beim Lesen viel Spaß.
Michael
Tenzing-Hillary Everest Marathon, Samstag 29.05.2010, Base Camp, Höhe 5364m
Furchtbar schlecht geschlafen, der mangelnde Sauerstoff in dieser Höhe macht mir vor allem nachts zu schaffen.
Die Atmung muß sich hier auch nachts umstellen und das lässt einen fast im Stundenrhythmus immer wieder aufwachen und nach Sauerstoff hecheln. Dazu der Lärm der benachbarten Everest-Expedition, die ihren Gipfelerfolg ausgerechnet heute Nacht feiert. Ein ständig lärmender und stinkender Stromgenerator rundet die Sache noch ab.
Ich wache um 5:00h morgens auf, und es ist wie immer hier oben um diese Zeit eiskalt.
Der Schlafsack ist außen naß und das Zelt eingefroren.
Ein Blick nach draußen und meine Müdigkeit weicht einer Vorfreude ob dieses wunderschönen Morgens mit Vollmond am Horizont und sonnenbeschienenen Gipfeln ringsum. Alle um mich herum sind in heller Aufregung.
Alle, das sind ca. 65 Nepali-Läufer, die vorgestern bzw. gestern nach und nach im Basislager eingetroffen sind, sowie ca. 40 so genannte Foreigner aus 14 Ländern rund um den Globus, welche gemeinsam während der vergangenen 2 Wochen von Lukla aus langsam ins Basislager getrekkt sind.
Das Frühstück findet im Freien bei -5°C in Laufsachen statt, da alles andere überflüssige Equipment auf dem Weg nach Namche Bazar ist, in 42,195km Entfernung.
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Eine Katzenwäsche, dann noch kurz ins leere Zelt, um die letzten Vorbereitungen für den Lauf zu treffen. Sonnencreme LSF 50+ auftragen, Camelbag kontrollieren und enteisen, ein bisschen dehnen, beten, daß alles gut wird, mich kurz sammeln. So spät wie möglich läuft die ganze 100-Mann-starke Truppe bis zum letzten Ende des Base Camps, kurz vor 07:00h.
Die Sonnenstrahlen erreichen uns jetzt, und sofort wird es angenehm warm. Die überschaubare Menge an überwiegend Nepali-Läufern bebt vor Spannung. Nach einer kurzen Ansprache unseres Wettkampfleiters zum Thema Streckenführung und -markierung fällt Punkt 07:00h der Startschuß.
Sofort stürmen die Nepali-Läufer den steilen Eis- und Schotterhang hinunter, was darauf schließen lässt, daß sie null Probleme haben, sich in diesem Gelände schnell zu bewegen. Unglaublich geschickt sind Ihre Bewegungen und es ist unfassbar, wie wenig Ihnen die dünne Luft offensichtlich zu schaffen macht.
Ich stelle mich in aller Ruhe hin und filme das Geschehen mit meiner kleinen Kamera. Die ersten Meter würde ich sowieso nur im Weg rumstehen. Als einer der Letzten mache ich mich auf den Weg, fühle erst mal in mich hinein, wie es mir geht und was mein Puls sagt. Das Gefühl sagt „passt schon“ und der Puls sagt „wird schon“. Hinter mir sagt einer „lauf schon!“
Nach einigen weiteren kleinen „Filmimpressionen“ beginnt auch für mich langsam das Rennen. Durch sonnenüberflutete Hochgebirgslandschaft bringen wir die ersten 3km auf der Khumbu-Gletschermoräne, bestehend aus grobem Schotter und Eis, hinter uns.
Das Basecamp, in dem wir uns ca. 40 Stunden aufgehalten haben, wird immer kleiner und der große Khumbu-Eisbruch, das Eingangstor zum höchsten Berg der Erde, verschwindet nun langsam aus unserem Blickfeld.
Riesige Felskieselfelder führen uns weg vom Gletscher, hinüber nach Gorakshep auf 5.140m zur ersten Verpflegungsstelle bei km 5.
Ich versuche, mich vorerst nur langsam und bewusst zu bewegen, da ich weiß, daß der 2. Teil des Marathons der wesentlich anspruchsvollere ist im Hinblick auf Höhenmeter und Profil. Die gesamte Höhendifferenz des Marathons beträgt ca. 3.000m downhill und ca. 1200m uphill. Allmählich erreiche ich aber nun doch einen nach dem anderen Läufer vor mir und beginne langsam Fahrt aufzunehmen.
Das Licht hier oben ist wunderbar klar und hell, die Bergkulisse erschlagend schön und bei jedem Blick auf Nuptse, Ama Dablam und Co. macht sich ein Glücksgefühl breit, das sich nicht in Worte fassen lässt. Ich beginne außergewöhnlich früh, viel zu trinken, da der Verlust an Flüssigkeit in dieser Höhe sehr hoch ist. Am Ende werden es 6-7 Liter sein, die ich in mich reingeschüttet haben werde.
Zur Verpflegung habe ich 6 Päckchen PowerBar-Gel dabei, was völlig ausreicht. Wie immer, wenn ich einen Läufer vor mir sehe, zieht er mich magisch an und es gelingt mir, immer besser, in Fluß zu kommen. Die großen Hindernisse, die permanent auf der Strecke liegen, überlaufe ich nun zusehends schneller und geschickter. Man wächst hier an dieser Aufgabe und Strecke oder man wandert.
Die 5000er Grenze ist ab Lobuche unterschritten. Ich bin nun dabei, die Route bestehend aus Sand, Kiesel, Schotter, Felsen, Schlamm und Wiesen, allesamt hübsch garniert mit Yak-Dung (auch Grunzochse genannt, siehe Wikipedia), joggender Weise zu überwinden.
Das Training zu Hause in profiliertem Gelände (Erlanger Rathsberg und Co.) zahlt sich jetzt aus. Nur immer schön konzentrieren, jeden Schritt bewusst setzen und mich nicht von zu vielen anderen Gedanken ablenken lassen. Jeder Fehltritt von den geschätzten 100.000 (und gefühlten 200.000) würde wahrscheinlich eine Verletzung nach sich ziehen. Fußgelenk, Knie, Oberschenkel- und Wadenmuskulatur, alles ist aufs Äußerste gefordert, und ich habe mich heute Morgen schon mal vorsorglich bei ihnen für die kommenden Strapazen entschuldigt. Aber sie halten zu mir und versagen bis zum Schluß trotz völliger Ermüdung nicht ihren Dienst.
Nach ca. 15 km in Thugla auf 4.620m merke ich zum ersten Mal wieder etwas dickere Luft und laufe jetzt über einen herrlichen Höhenrücken mit freiem Blick auf Ama Dablam, dessen Schönheit mich fast umwirft.
Völlig exponiert steht er vor mir mit seinen knapp 7000m, der schönste Berg neben dem Erlanger Berch.
Das Faszinierende hier ist, daß mit jeder Tageszeit die Berge anders in Erscheinung treten und man sich einfach nicht satt sehen kann an diesen Naturdenkmälern.
Ich wende meine Konzentration und den Blick wieder der Strecke zu, nachdem dieser vergleichsweise kurz und schnell zu laufende Abschnitt ein abruptes Ende findet und in einen knackigen Downhill mündet Richtung Dingboche auf 4.410m, dessen blaue Dächer mir jetzt schon entgegen leuchten.
Km 22 ist erreicht, alles ist bisher bestens gelaufen und mir geht es jetzt richtig gut. Ab jetzt ändert die Route ihren mir bekannten Lauf. Mir dadurch bekannt, daß wir die Strecke beim Aufstieg zum Base Camp ja bereits uphill hoch getrekkt sind.
Die nun folgenden 18km sind mir somit fremd und frei von jeglichen Richtungs- und Km-Angaben. Eigentlich wurde uns eine durchgehende Markierung der Strecke mittels Kreidezeichen zugesagt. Diese setzte jedoch erst wieder auf den letzten 2km der Strecke ein.
Ich hoffe nur, daß der kleine Nepali-Läufer ein paar 100m vor mir noch lange als Orientierungshilfe in meiner Nähe bleibt. Macht der kleine Mistkerl aber nicht und ist kurz darauf verschwunden.
Ab jetzt muß ich mich nun wieder alleine durchfragen bei den entgegenkommenden Träger-Sherpas. Der Dialog läuft in etwa folgendermaßen ab:
ICH (von weitem wild gestikulierend und rufend):
„Marathon, Marathon, Marathon?“
SHERPA (verständnislos aber freundlich grinsend und nickend, dabei nach oben oder unten zeigend, manchmal auch beides gleichzeitig:
„….“!
Weggeworfene Wettkampf-Freß-Süß-Pampf-Power-Riegel-Verpackungen aller Art dienen mir zusätzlich zu den auskunftfreudigen Sherpas als Orientierung.
Aber ich bin immer richtig, Gott sei Dank!
Nun richte ich meine Gedanken auf die steilen Auf- und Abstiege, die mich auf dem weiteren Streckenverlauf erwarten.
Der vorletzte Ab- und Aufstieg stellt jedoch wirklich alles in den Schatten! Glücklicherweise habe ich nicht gewusst, was auf mich zu kommt, sonst hätte ich mich hier wohl erst mal hingesetzt und bitterlich geweint.
Eine endlos steile Felstreppe als Heber ins letzte Dorf vor Namche Bazar. Ich weiß nicht mehr, wie lange sie war und wie lange ich dafür gebraucht habe. Als ich jedoch oben ankomme, muß ich einen ganzen Kilometer gehen, um meinen Puls einigermaßen wieder in den Griff zu bekommen.
Ich laufe auf meinen völlig ausgepowerten Mitstreiter, den Polen Thadeus, auf. Er lehnt restlos erschöpft vornüber an einer Steinmauer, flucht irgendetwas auf Polnisch und winkt mich an sich vorbei. Aber er wird trotz allem nur 10 Min. nach mir das Ziel erreichen!
Ich befinde mich nun am Ortseingang von Syangboche auf 3.720m bei km 38, in dessen Mauern sich keine Wegweiser mehr befinden. Als solche dienten wohl Cola-Fähnchen, deren sich im Laufe des langen Tages die Dorfkinder längst bemächtigt zu haben scheinen. Jedenfalls kommt eine Frau mit Ihrem Kind vorbei. Das Kind mit einem Strauß Cola-Fähnchen in der Hand. Wortgewandt rufe ich: „Marathon, Marathon, Marathon“?? Sie nickt…..!
Jetzt noch ans Ende des Dorfes, an der kleinen Klinik vorbei, auf die 3km Zielgerade, die es noch mal in sich hatte.
Zum ersten Mal macht sich plötzlich ein Schwächegefühl in mir breit, welches jedoch so schnell verschwindet, wie es gekommen war.
Die letzte Verpflegungsstelle ist umringt von Kindern, die mit Wasser nach mir spritzen und mir hinterher rennen.
An überhaupt allen der ca. 10 Verpflegungsstellen gab es lediglich Wasser und teilweise Elektrolyt-Getränke, die scheußlich schmeckten, jedoch ihren Zweck erfüllten. Die anfangs versprochenen Nüsse und Schokolade, habe ich nirgends gesehen. Ich vermute, meine kleine „Orientierungshilfe“ von km 22 hat sich damit den Bauch voll geschlagen. An dieser Stelle sei der Ordnung halber vorweg erwähnt, daß er aus mir unerfindlichen Gründen (Schokoladenkrampf, Orientierungslosigkeit?) ca. 5 Min NACH MIR (!! J) das Ziel erreichen wird!
Die letzten 2 Kilometer sind geprägt von einem steilen Treppenaufgang direkt nach dem Kloster ung, gefolgt von einem langen und sandigen Downhill, der erstmalig hervorragend ausmarkiert war, in Richtung Ziel nach Namche Bazar auf 3.440m.
Vorbei an gackernden Hühner, Kindern mit offenen Mündern, ein paar wenigen Schaulustigen, noch mal nach dem Weg fragend, durch 4-5 Kurven im Ort, ein paar wenige Treppenstufen runter und vor mir erscheint endlich das rotweiße Zieltor.
Im Ziel stoppe ich die Uhr bei 7Std 2Min 45Sek. Ich habe alles richtig gemacht!
Ein paar Dutzend Leute stehen im Ziel und begrüßen mich lauthals. Ich umarme jeden, der vor mir steht. Unserer Veranstalterin, Isolde Fink, von Bergfink-Reisen, überreicht mir einen weißen Seidenschal und die Finisher-Medaille.
Das Wichtigste habe ich erreicht, nämlich gesund an den Start und gesund aus dem Wettkampf heraus zu gehen. Hört sich zwar nicht so an, aber ich hatte tierischen Spaß dabei und fühle mich absolut privilegiert und dankbar, dieses erlebt haben zu dürfen.
Erlebnisbericht von Michael Dotzauer, Finisher Everest Marathon, 29 Mai 2010.
Platzierung: Bester Deutscher, 4. Europäer;
http://www.everestmarathon.com/race_result_2010.php
Bis bald mit euch beim Radeln
Michael D.