Elke








Liebe Mitradler,

Anfang der Saison erreichte Euch eine Mail. Nur zu gerne hätte ich mein Abenteuer Alpentraum - auf Hannibals Spuren an einem Tag über die Alpen von Sonthofen nach Sulden in Südtirol - mit dem ein oder anderen von Euch geteilt. Die nackten Zahlen von 252 km und 6.078 hm schienen dann aber doch auf den ersten Blick zu abschreckend, so dass ich alleine ins Allgäu zum Start reisen musste.

Das Rennen drohte im Regen und Schnee zu versinken, nach einem langen Sommer meldete sich in der Woche zuvor der Herbst eindrucksvoll zurück. Schneefall bis auf 2.000m, das kollidierte mit dem geplanten Streckenverlauf. Nicht schon wieder, dachte ich – war doch schon mein eigentlicher Saisonhöhepunkt im April einem plötzlichen Wintereinbruch zum Opfer gefallen. Jedoch pünktlich zum Samstag, dem Tag des Rennens, meldete sich ein Zwischenhoch an und kündete von einem trockenen Tagesverlauf. So starte ich freitags zuvor im strömenden Regen in Erlangen, wohingegen in Sonthofen tatsächlich schon die Sonne zwischen den Wolkenlücken schien. So hatte ich noch Gelegenheit das Oberjoch und das Tannheimer Tal zu erradeln, unsere ersten Kilometer des morgigen Tages. Mit 12°C war es recht frisch, aber gut machbar. Am Oberjoch ärgerte mich eine einspurige Streckenführung, die bei Rot wertvolle Minuten zu kosten drohte. Ich radelte nämlich immer kurz vor Kontrollschluss, das war bei einem Mindestschnitt von fast 19km/h klar. Glücklicherweise hatte die Allgäuer Polizei ein Einsehen mit uns und sollte am Renntag den Radlern Vorfahrt einräumen.Abends beim Briefing und der Pastaparty lernte ich, dass ich eigentlich zwei Ziellinien habe. Die eine in Laatsch bei Kilometer 195, die bis 16:45 erreicht sein musste, wollte ich noch das Stilfser Joch, unser Dach der Tour erklimmen. Die andere dann in Sulden, die mit 20.30 Zielschluss machbar schien.

So stand ich dann am frühen Samstagmorgen mit 400-500 anderen Verrückten am Start. Es war tatsächlich (noch) trocken. Um mich herum Material, das mich nur mit den Ohren schlackern ließ. Egal, abgerechnet wird zum Schluss, dachte ich und außerordentlich zivilisiert ging es dann los. Ich habe brav auf einen befreundeten Südtiroler Einheimischen gehört gehört und trotz der kalten Temperaturen keine dicke Jacke mitgeschleppt, im Vergleich zu so vielen anderen. Einfach nur Windweste und Armlinge jeweils gedoppelt und damit gleichzeitig noch Stauraum für Verpflegung bei den doch teilweise sehr weit auseinandergelegenen Stationen geschaffen. Das war gut. Schlechter war, dass es dann pünktlich zum Start es an zu regnen fing: erst leichter Niesel, dann im Tannheimer Tal stärker.


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Erstes Ziel war für mich, bis zum Hahntennjoch in einer Gruppe mitzufahren und damit fast schon das erste Viertel zu überstehen. Das Oberjoch rollte recht gut und oben fand ich dann eine größere Gruppe, an die ich mich ranhängte und eigentlich recht gut im Wind versteckte. Gedacht habe ich dabei wenig, immer nur Fokus auf das Hinterrad. Aber immerhin ans Essen, Die erste Banane war da schon verdaut.

Die erste Schrecksekunde, wie soll es anders sein, war eine Abfahrt, die mich etwa 200m zur Gruppe verlieren ließ. Seit zwei einschneidenden Stürzen im Sommer erkannte ich mich bei den Abfahrten nämlich nicht wieder. Komplett eingeschüchtert fuhr ich nunmehr runter. Zum Glück fand ich kurz darauf einen Gentleman, der sie für mich am naturbelassenen Lech mit seinem typischen Zopfmuster entlang wieder zu fuhr. In passablem Tempo waren wir dann recht bald am Hahntennjoch, wo sich natürlich alles sprengte. Für mich lief es wieder gut und mit einem anderen Mädel pedalierte ich bis zur ersten Verpflegung nach 61km und gut 900 hm in Bschlabs. Nur schnell Wasser auffüllen, Bananen einstecken und weiter.Oben wurde es steiler, die Landschaft unwirtlicher und völlig schneebedeckt. Die Straße war jedoch frei. Die Verhältnisse kannte ich jedoch aus dem Frühjahr und so erreichte ich die Passhöhe auf knapp 2.000m ohne groß Plätze zu verlieren. Kurz davor ein kleiner Verschalter, der mich zum Absteigen zwang, die Kette war aber sofort wieder drauf und mit einem kleinen Anschieber eines aufmerksamen Mitradlers saß ich wieder auf dem Rad. Bis dahin also alles gut. Dann kam die erste richtige Abfahrt und ich sah zunächst einen Heli auf der Straße, der einen Sturz vor mir aufsammelte. Was folgte, war die logische Konsequenz von zuviel Denken. Irgendwann habe ich die Zahl der Überholungen aufgehört zu zählen. Immerhin hatte ich keine Probleme mit den Geschwindigkeitsmessungen der österreichischen Polizei. Kein Witz, die standen tatsächlich in 30er Zonen mit Radarmessgeräten und haben sich vor dem Rennen die ausführliche Starterliste geben lassen.


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In Imst angekommen hab ich dann am ganzen Leib gezittert, vor Angst und Kälte gleichzeitig. Aber die Gastfreundschaft an der dortigen Verpflegung war perfekt. Jemand nahm mir gleich das Rad ab, gab mir eine Tasse heißen Tee und nach zwei weiteren bin ich gleich wieder auf’s Rad und wieder in einer Gruppe recht flach und zügig gen Landeck. Ab Imst hat es aufgehört zu regnen und die Straße wurde trocken. Diese blöde Pillerhöhe immer vor mir, aber ich hab mich so auf Südtirol und den dortigen Sonnenschein gefreut. Also einfach tapfer weiter. Der Anstieg war wie befürchtet hammerhart, zwar kurz, aber kontinuierlich zweistellig. Aber dank meiner 32er Wunderwaffe irgendwann geschafft. Auch hier habe ich nicht wirklich viele Plätze verloren. Oben dann wieder kurz an der Verpflegung gehalten, soviel Energietanken wie möglich. Also völlig automatisiert Bananen und Kuchen reingestopft und zitternd auf die nächste Abfahrt. Und wieder ein dejavu – aber immerhin kürzer als nach Imst, so dass ich mich unten von einer starken Gruppe in Richtung Martina ziehen lassen konnte. Auch das hat gut geklappt, sogar fast bis nach Nauders.
Und dann kam der Mann mit dem Hammer. In Nauders war ich noch 1,5h vor Kontrollschluss, also voll gut in der Zeit – sogar 7. bei den Frauen, trotz schlechter Abfahrten. Leider realisierte ich hier, dass ich bis dahin schon mehr als 7 Stunden im Sattel saß und das Ziel war plötzlich verdammt weit weg, alles kippte, schier unerreichbar – und das obwohl ich gut in der Zeit war. Dazu kam eine weite Strecke bis auf den Umbrail ohne Verpflegung. Bis Gomagoi ließ mich diese mentale Schwäche leider nicht mehr los. Alleine kämpfte ich mich über den Reschenpass, erneut wieder mit vielen frustierenden Überholungen und dann landete ich auch noch hinter einem Trecker und hatte keinen Mumm zum Überholen. Auf bissigen Umwegen aufgrund zahlreicher Dorffeste ging es dann wieder zumeist alleine zäh gen Sta. Maria. Laatsch erreichte ich locker vor dem Kontrollschluss und durfte somit den Gipfel in Angriff nehmen. Je näher ich dem Umbrail kam, desto weiter rückte er mental weg. Zum ersten Mal wurde aus den neun Buchstaben des Renntitels sieben: Alptraum.

Dank einer Straßensperre ging es in Sta. Maria die ersten Höhenmeter auf einem Viehweg mit 20+x%. Ich war kurz vor dem Absteigen, was viele vor mir auch taten. Noch im August bin ich den Umbrail wirklich locker hochgekurbelt. An dem Tag ging gar nichts mehr. Ich verlor Sekunde um Sekunde, Minute um Minute. Plötzlich war sogar der Zielschluss in Gefahr. Die 2km Schotterpassage präsentierte ich zu allem Überfluss wegen einer Baustellen einem unheimlich schlechten Zustand. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich es doch auf den Umbrail geschafft habe und um 17.45 war ich endlich an der letzten Kontrolle, wartete schon auf den Besenwagen. Doch es hieß weiterfahren. Also auf’s Stilfser Joch. Das vierte Mal in diesem Jahr. Habe nichts mehr realisiert, außer dass ich für die Abfahrt noch länger gebraucht habe als beim letzten Mal. Nur gezittert und krampfhaft gebremst. Und wieder die Überholungen…


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In Gomagoi, vor dem Schlussanstieg nach Sulden schien dann alles aus. Viel zu spät war ich da unten, erst kurz nach 19.00. Aber auch da hieß es: weiterfahren, sie verteilten sogar Stirnlampen. Irgendwie hab ich mich doch wieder gefangen und regulär, wenn auch im Dunklen, um 20.18 gefinished - nach über 13h auf dem Rad ohne wirkliche Pause.

 

Mein Fazit:Insgesamt ein super Event und eine tolle logistische Leistung der Organisatoren. Ich habe mich nie alleine verlassen, ständig kreisten Medical Team und Streckensicherungen, an allen Kreuzungen regelten Polizisten unsere Vorfahrt. Auch das Wetter war ordentlich. Persönlich jedoch eine große Enttäuschung. Bis Nauders war ich echt zufriedenstellend unterwegs, aber der Einbruch am Umbrail und die Abfahrten haben mich gekillt. Der Blick in die Ergebnisliste ist schon ein wenig niederschmetternd: 12 von 14 Finisherinnen der langen Distanz, 20 waren am Start. Das muss ich erst mal verdauen. Wäre ich die Abfahrten „normal“ gefahren, wäre sicher eine Stunde weniger drinen gewesen. Aber Hypothesen zählen nicht, sondern die reine Zeit.

Der Alpentraum ist für mich nun realisiert, aber einmal reicht vollkommen. Nächstes Jahr müssen neue Ziele herhalten. Ich bin gespannt! Mal schau’n, ob ich mich wieder mit einer Mail an Euch richte…

VG
Elke

 

Insgesamt sechs Mal geht’s beim ENDURA Alpen-Traum nach oben:
     Oberjoch (1155 m) Strecke: 6 km, Anstieg: 235 Hm
     Hahntennjoch (1894 m) Strecke: 14,7 km, Anstieg: 920 Hm
     Pillerhöhe (1559 m) Strecke: 7,4 km, Anstieg: 670 Hm
     Reschenpass (1507 m) Strecke: 16,6 km, Anstieg: 525 Hm
     Stilfser Joch (2757 m) über Umbrail (2501 m) Strecke: 16,8 km, Anstieg: 1354 Hm
Schlussanstieg (1900 m) Strecke: 7,9 km, Anstieg: 530 Hm

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Kommentar vom Roland:
Chapeau - wer von uns würde eine solche Energieleistung schaffen? Und dann ging eine Woche später zum BMW-Cup, wo die Elke ein super Rennen ablieferte!
Wie wäre es wenn wir uns alle bei der Weihnachtsfeier uns über die nächste Saison unterhalten.

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